Ach hätte ich doch keine Angst

Den festen Boden unter den Füßen verlieren, sich kopfüber hängend nah über dem Boden zu halten oder zu bewegen, loslassen. All dies wird im Pole-Sport gefordert und auch gefördert und oftmals kann man einfach nicht in eine Figur gehen, weil einem eine übermächtige Emotion im Weg zu stehen scheint: Die Angst!

Beneidenswert wie manche Kollegen und Kolleginnen scheinbar mühelos und ohne nachzudenken die schwierigsten Figuren meistern. Wenn man für die Figur eine oder auch beide Hände und vielleicht auch noch ein Bein von der Pole lösen muss, dann muss man das eben tun. Basta.

Oftmals schaffe ich das nicht. Theoretisch ist mir alles klar (ist ja schon mal ein Fortschritt!), den Grip hätte ich auch und dann setzt die Angst ein. Ich kann einfach nicht loslassen. Manchmal ist es dabei vollkommen egal, ob ich den Trick alleine schaffen muss oder will oder ob ich eine Hilfestellung an meiner Seite weiß, der ich vertraue. Ich kann einfach nicht. Ich bin wie blockiert. Es geht nicht.

Kaum auf dem Boden (der Tatsachen) zurück setzt dann mindestens eine weitere Emotion ein: Wut! Wut über mein Unvermögen und Ärger über meine Angst. Dieser ganze Emotionsmischmasch wird dann als Frustcocktail serviert und vertieft nur die Falten im Gesicht, nicht aber das Können an der Pole.

Wie also schaltet man seine Angst bitte einfach ab? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt und ich bin zu einem Fazit gekommen, welches zulässt, dass ich mich mit meinen Emotionen versöhnen kann, auch wenn sie zunächst auf dem Weg des Fortschritts und der Zielerreichung hinderlich erscheinen. Zugegeben: Ich bin nicht alleine darauf gekommen, vielmehr waren es die Worte meines Göttergatten, der sich seit nun über 3 Jahren ob er will oder nicht mit einem hervorstechenden Thema beschäftigten darf oder muss: Pole!

Angst und Respekt

Zunächst einmal ist es wichtig zwischen Angst und Respekt zu unterscheiden. Nicht alles, was uns daran hindert (blindlings) in eine Figur zu gehen, ist immer Angst. Oftmals ist es einfach Respekt vor der Figur, Respekt vor den Gripbedingungen, die sich ja auch je nach Wetterlage, Hautfeuchtigkeit und Tagesform ändern können. Respekt ist gut. Respekt lässt uns nicht übermütig werden. Ich habe heute noch Respekt vor vielen Figuren, auch wenn mir in diesen noch nie etwas passiert ist (bis auf einmal, aber dazu komme ich später!). Respekt bedeutet „innehalten“ und nochmals kurz alle Bedingungen zu überprüfen, weil man auch abschätzen kann, was schieflaufen könnte und kann. Respekt ist Vorsicht und Vorsicht ist gut!

Hemmende Angst

Dann gibt es noch die Angst, die uns klein macht. Die Angst, die uns daran hindert so weit zu gehen, wie wir können. Diese Angst kennen wir alle und diese Angst haben wir auch alle schon überwunden. Ganz zu Anfang hat man schlichtweg Angst in eine Drehung zu gehen, vertraut seinen Armen nicht, hat Angst ungebremst und sehr unsanft auf dem Boden zu landen. Hat Angst vor Verletzungen und Schmerzen. Diese Angst kann hemmend sein. Wie kann ich diese Angst identifizieren? Nun, wenn man beispielsweise Drehungen (vielleicht auch sogar einarmige Drehungen) schon meistern kann, dann gibt es keinen Grund, sich vor einer Haltefigur, die sehr ähnlich aufgebaut ist, zu ängstigen! Man hat (sich) ja schon oft genug bewiesen, dass der Körper die Kraft aufbringen kann, sich zu halten. Hier ist es wichtig, wie man einen Mittelweg finden kann, um die Angst zu akzeptieren und sie gleichzeitig zu überwinden.

Angst als Beschleuniger

Was ich im Training das ein oder andere Mal erlebe ist, dass Angst dazu führt, die Figur hektisch und zu schnell zu machen. Der Trainierende will schnell ans Ziel kommen, um schnell wieder auf dem Boden zurück zu sein. Das führt häufig zu Unsauberkeit und erhöht tatsächlich das Gefahrenpotential. Hier hilft nur die Atmungsbremse zu nutzen! Nein, nicht aufhören zu atmen, sondern nach jedem Teilschritt einen tiefen Atemzug zu nehmen, anstatt sich weiterzubewegen.

Angst überwinden

Gerade wenn es an die ersten Kopfüber-Figuren geht, kann man die Angst überwinden, indem man sich sichert. Und dabei kommt es nicht nur auf die Crash-Mat an und die Hilfestellung, sondern darauf, dass man sich Referenzfiguren aufruft (im Kopf), die man schon gemeistert hat. Dass man sich bewusst macht, wie man Kraft mobilisieren kann und wieviel Kraft man schon in anderen Figuren an den Tag gelegt hat. Dann fängt man vielleicht mit der Figur ein paar Zentimeter über dem Boden an. Das mag ziemlich bescheiden aussehen, ist aber für die Beruhigung der eigenen Seele sehr gut. Man weiß, wenn man fällt, dann landet man eventuell sitzend auf dem Popo. Wenn man sich dann genügend oft bewiesen hat, dass man hält (die Anzahl schwankt von Sportler zu Sportler), dann hat man ausreichend Beweise gesammelt und kann sich in höhere Gefilde wagen.

Fiese Angst

Fiese Angst ist Sabotage nach der Figur! Das ist die Geschichte, die ich weiter oben bereits erwähnt habe. Ich erinnere mich an den ersten Versuch einer „Ayesha“. Ganz langsam, überlegt und Stück für Stück habe ich gemeinsam mit einer Hilfestellung diese Figur aufgebaut und geschafft. Die Hilfestellung war im Grunde nicht nötig, aber die Finger in meinem Rücken haben mir im wahrsten Sinne des Wortes das Gefühl gegeben, dass jemand da ist, der mich sichert! Ich habe die Figur geschafft, schloss die Beine wieder um die Pole, löste die Hände und hing wieder (vermeintlich!) sicher im Inverted Cruzifix. Just in diesem Moment setzte die Angst ein. Nachträglich. Hemmend. Fies. Blockierend. Ich wollte einfach nur weg von der Pole. Jetzt. Nicht in 2 Sekunden. Jetzt.

Also lies ich einfach los.

Ich landete unsanft auf dem Kopf. Mir ist nichts passiert, beinahe hätte ich damals aber zu Recht noch eine Ohrfeige von meiner Hilfestellung bekommen. Was denn los gewesen wäre, fragte diese. Ich erklärte ihr meine komische „nachträgliche Angst“. Auch auf diese Angst muss man gefasst sein - als trainierende Person und auch als Hilfestellung.

Fördernde Angst

Angst kann einen auch fördern. Mein Mann stellte mir, als ich mich mal wieder über meine Schisserqualitäten beschwerte, einfach nur die Frage, ob es denn nicht so sein könne, dass mir noch nichts passiert wäre, weil ich eben Angst hätte? Wenn die Angst einem Einhalt gebietet, zu früh in eine Figur zu gehen und Grip und Aufbau der Figur vielleicht einmal mehr zu überprüfen und alles ruhig und überlegt anzugehen, dann kann sie sehr zur Sicherheit und auch zur Sauberkeit einer Figur beitragen.

Angst als Freund

Heute versuche ich die Angst als Freund zu sehen. Manchmal spielt sie sich ein wenig auf (aber es ist ja auch meine Angst - also mir wohl sehr ähnlich?), manchmal hält sie mich vor allzu waghalsigen Manövern zurück. Sie ist da und ich zolle ihr Respekt und bin ihr dankbar und manchmal fangen wir das Diskutieren an und wenn ich die besseren Argumente habe (ich lasse mir Zeit, ich habe die Figur mehrfach geübt, ich habe eine Hilfestellung etc.) dann lässt mich meine Angst auch weitergehen.

Eure Nadine Rebel

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